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Akteneinsicht(en)

01: "In deutscher Sprache". Über einen Pressetext zur Oper "Porgy and Bess" in Stadtallendorf 1970. - Von Jörg Probst.

Werbetexte sind als "Zeitzeichen" und zeitgeschichtliche Spuren des kulturellen und geistigen Klimas bedeutsam, weil diese Kaufanreize niemals verstören, sondern einladen, nicht aufregen, sondern anregen, nicht provozieren, sondern mobilisieren sollen. Die Sprache der Werbung ist kommerziell, d.h. sie soll möglichst große Zustimmung auslösen und als massenhafte Verführung zum Konsum ausdrücken, was die "schweigende Mehrheit" denkt und fühlt.

Reklame ist ein so wichtiger Teil der Massenkultur, weil sie das Unterbewusste oder Unbewusste der großen Menge berührt. Der mittels Werbung erhoffte massenhafte Erfolg soll u.a. durch wirkungsvolle Aktivierung einer massenhaft geteilten bzw. massentauglichen Sprache erzielt werden.

In der Sprache der Werbung vorkommende Ressentiments oder Vorurteile sind daher nicht primär die "Schuld" des Autoren/der Autorin. Sie sind vielmehr das Dokument des Wissens eines Autoren/einer Autorin über ein massenhaft verbreitetes Selbst- und Weltverhältnis, d.h. über die (selten hinterfragten) Selbstverständlichkeiten des Alltags.

Aus dieser Perspektive verdient eine "redaktionelle Einsendung" aus der Feder von Franz Gohout über eine Aufführung der Oper "Porgy and Bess" 1970 in Stadtallendorf nähere Beachtung. Das maschinenschriftliche Manuskript aus dem vom DIZ verwahrten Nachlass Gohouts ist eine Pressemitteilung, die Grohout als Vorsitzender des Stadtallendorfer Theatervereins mit der Bitte um Veröffentlichung an die lokale Presse verschickte.

Die Besonderheit der Aufführung des im Original englischsprachigen Opernklassikers von George Gershwin bestand darin, von farbigen Künstler*innen aus Europa und den USA "in deutscher Sprache" dargeboten zu werden. Umso stärker fältt die pauschalisierende Charakteristik dunkelhäutiger Menschen in dem Text ins Auge.

Begriffe wie "Neger-Ensemble" und "Neger-Sänger" entsprechen dabei dem kritikwürdigen und im Rückblick abstoßenden, seinerzeit aber weit verbreiteten Sprachgebrauch. Weil diese Formulierungen in einem Werbe-Text erscheinen, mag von einem persönlichen Rassismus des Autors keine Rede sein können, weil die Ausdrucksweise damals von jedem benutzt wurde. Ansonsten wären in einer Reklame diese Formulierungen ja geschäftsschädigend, wenigstens erfolgsmindernd gewesen und daher nicht verwendet worden.

Die Werbe-Anzeige für "Porgy and Bess" belegt jedoch, wie sehr mit dem Begriff "Neger" auch noch um 1970 nicht nur ein mechanischer Reflex der sprachlichen Gepflogenheit und der "Macht der Gewohnheit", sondern ein sehr bewusst vollzogenes völkisches Denken verbunden war. Zusammen mit dem Äußeren eines Menschen wurde auch dessen mentale Prägung als gruppenspezifisch begriffen, d.h. ein Individuum physisch, psychisch und geistig nach seiner Herkunft beurteilt.

"Porgy and Bess' ist voll erregender Spannung, voll Gefühls-Echtheit im Tragischen und im Sentimentalen ... dicht neben der entfesselten Triebhaftigkeit sitzt das blutmässig gebundene Gefühl" heißt es in dem Inserat. Es reproduziert damit eine heute befremdende, aber noch um 1970 offenbar als selbstverständlich angesehene Verbindung von Blut und Boden, von Herkunft und Mentalität. Das Menschen mit dunkler Hautfarbe leidenschaftlicher wären als der Europäer, ist als scheinbare Überlegenheit der Vernunft über das Emotionale, der zivilisierten Ratio über das animalisch-triebhafte Gefühl ein Grundmotiv des Kolonialismus.

Die damalige Wichtigkeit der Herkunft der Künstler*innen für eine möglichst "authentische" Darbietung der "volkhaften Melodik" (ein Ausdruck auf dem Werbezettel) des "Neger-Musicals" (eine Bezeichnung auf dem großen Tournee-Plakat) lässt sich auch daran erkennen, dass in der Aufführung 1970 alle Darsteller Schwarze waren und ein "vollständiges Ensemble von Negern - für Solisten und Chor" verpflichtet wurde.

Frühere Inszenierungen hatten eine "'weisse' Besetzung" oder agierten mit "einigen Neger-Solisten und dem 'weissen' Chor" des jeweiligen Opernhauses, so der Text. Nicht auch der damals umgangssprachliche Begriff "Neger", sondern nur der nicht weniger umgangsprachliche Begriff "weiss" wurde von Gohout in Anführungszeichen gesetzt.

Abgedruckt wurde der Text gekürzt im Stadtmagazin "Hallo Stadtallendorf" Nr. 61/1970, S.31.

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